Archiv Volksentscheid
Trennung von Staat und Kirche in Frankreich
Pro Reli weist in seiner Wahlbroschürenargumentation auf Sarkozy hin. Wie es in Frankreich wirklich aussieht, zeigt der Tagesspiegel.
Religionsunterricht
Freiheit oder Seligkeit
Pro Reli oder Pro Ethik? Gesinnung gehört nicht in die Schule. Ein Beitrag zur Berliner Debatte aus französischer Sicht. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 14.04.2009)
Die Frage, die den
Berlinern am 26. April vorgelegt wird, die den Berlinern am 26. April vorgelegt wird, könnte
in Frankreich nicht zur Volksabstimmung kommen, da sie dort verfassungswidrig wäre. Seit der offiziellen Trennung von Staat und Kirche 1905 mischt sich der französische Staat nicht mehr in die
religiösen und die Religion sich nicht mehr in die staatlichen Angelegenheiten ein. Das ist die Essenz des spezifisch französischen Laizismus.
Die öffentlichen Schulen und Institutionen sind zu strikter Neutralität in religiösen Fragen verpflichtet. Ob einer an die Wiederauferstehung der Toten glaubt oder an die Sinnlosigkeit des
Lebens, ist reine Privatsache. Seit 1905 entlohnt der Staat die Pfarrer nicht, unterhält den Kirchenbesitz nicht mehr und zieht für die Religionen keine Steuern ein. Vor allem untersagt er den
Religionsunterricht in den Schulen, dies freilich schon seit 1882, seit Jules Ferry die allgemeine Schulpflicht einführte und damit die Oberhoheit des Katholizismus über alle erzieherischen
Angelegenheiten ablöste.
Seither fehlte es, wie im Augenblick in Berlin, nicht an Versuchen, die Trennung von Religion und Schule wieder rückgängig zu machen. Etwas vorsichtiger als Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die
Pro-Reli-Bewegung Ende März mit der Parole „Wir kämpfen für einen richtigen Religionsunterricht“ unterstützte, hatte Nicolas Sarkozy vor zwei Jahren in Riad vor dem saudiarabischen Staatsrat den
konterrevolutionären Satz riskiert, dass „ bei der Weitergabe der Werte und der Unterscheidung von Gut und Böse der Lehrer weder den Pastor noch den Pfarrer ersetzen“ könne. Sein Versuch, in
Frankreich die Religion wieder hoffähig zu machen, wurde von einer Welle der Empörung im Keim erstickt. Er schlug fehl, weil die Trennung von Staat und Kirche zu tief in der republikanischen
Tradition verwurzelt ist, nämlich Folge eines über hundert Jahre währenden Kriegs zwischen Revolution und Reaktion, in dem die mit der Monarchie verwachsene Kirche die demokratischen Bewegungen
verteufelt und nie einen Finger für das hungernde Volk gerührt hatte.
Wie die Sache in Berlin ausgeht, ist keineswegs klar, zumal die Initiative, religiöse Gesinnungen wieder schulfähig zu machen unter dem Motto der „Wahlfreiheit“ und „Toleranz“ firmiert, Begriffe,
die von der europäischen Aufklärung erfunden worden waren, um sich von der Intoleranz und Gedankenfinsternis der Religionen abzusetzen. Die Religionen nehmen gern den Begriff der Freiheit in
Anspruch, wenn es um ihre Rechte geht. Wo sie an der Macht sind, gewähren sie Freiheit nur ungern.
Ich erinnere an das Kopftuchverbot in den französischen Schulen, das die betroffenen Familien als Angriff auf die staatlich garantierte Freiheit der Religion denunzierten. Als das Gesetz gegen
das Tragen des muslimischen Kopftuchs in den staatlichen Schulen 2004 verabschiedet wurde, hagelte es jedoch nicht nur in den islamischen Staaten Afrikas und Asiens Proteste, auch in den
westlichen Ländern gab es ablehnende Reaktionen. Vor allem in England und den USA, wo die religiösen Gemeinschaften weitgehende Privilegien genießen, war die Empörung groß, aber auch in
Deutschland, wo die Freiheit der Religionsausübung zu den Grundrechten gehört, herrschte Skepsis. Das Resultat: Frankreich hat seine Probleme gelöst, England erstickt an ihnen, und Deutschland
weiß nicht, wohin damit.
Das Tragen des Kopftuchs in den Schulen ist in Frankreich kein Thema mehr. Im Schuljahr 2004 haben es 533 von 806 betroffenen Schülerinnen zu Hause gelassen oder am Schuleingang abgelegt, 67
gingen ins Ausland, 73 mussten entweder die Schule verlassen oder stiegen auf Fernkurse um. Die Einschulung 2005 verlief reibungslos. Das Gesetz war ursprünglich nur gegen das muslimische
Kopftuch gerichtet, aber der Gesetzgeber war, da er keine Religion gegenüber einer anderen bevorzugen konnte, zu der heilsamen Maßnahme gezwungen, auch das demonstrative Zurschautragen von
christlichen Kreuzen oder jüdischen Kippas, also sichtbaren religiösen Symbolen zu verbieten. Eine heilsame Maßnahme, da so die Gefahr verringert wird, dass bei einem Krieg im Nahen Osten, in
Bosnien oder im Irak, der Krieg in den Klassenzimmern fortgeführt wird. Im Unterricht haben sich die Schüler und Schülerinnen als Menschen zu begegnen, und nicht als Kreuz-, Käppchen- oder
Kopftuchträger.
Die Befürworter des Verbots, die sich ausdrücklich auf das hundert Jahre alte Gesetz der Trennung von Kirche und Staat beriefen, wiesen auch darauf hin, dass das Kopftuch im Islam ein Symbol der
Unterdrückung der Frau durch den Mann sei und gegen das verfassungsmäßig garantierte Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter verstoße. Eine tyrannische religiöse Tradition, und würde sie
auch von den Betroffenen akzeptiert (in Wahrheit war ein Großteil der Kopftuch tragenden Mädchen von ihre Eltern dazu gezwungen worden), könne nicht mit dem Begriff der Freiheit verteidigt
werden. Eine Regel, die in den rückständigsten Ländern der Welt Frauen zwingt, ihren Kopf zu bedecken, zu verschleiern, zu vermummen und in denen sie widrigenfalls mit Verfolgung, ja Ermordung
rechnen müssen, kann ja wohl schwerlich in unseren Ländern als Freiheit der Religionsausübung gelten.
Auch die Berliner Abstimmung beruft sich auf die Freiheit. Aber ist die staatliche Schule dazu da, die Freiheit der Wahl zu gewähren zwischen einem Ethik-Unterricht, der den offenen Diskurs
zwischen allen, auch den atheistischen Weltsichten ermöglicht, und dem Religionsunterricht, der per Definition sektiererisch ist? Es ist das Wesen aller Religionen, sich im Besitz der einzig
selig machenden Wahrheit zu glauben. Weswegen sich ihre Anhänger, außerstande, sich auf die Reihenfolge der Propheten zu einigen, seit Jahrhunderten die Köpfe einschlagen.
Wäre es für die monotheistischen Religionen nicht an der Zeit, die so oft bemühte „Wahlfreiheit“ in ihre eigenen Institutionen einführen? Seit vordemokratischen Jahrhunderten werden im Islam, im
Judentum wie im Katholizismus alle wesentlichen theologischen Entscheidungen von Gremien bejahrter und verhärmter Männer getroffen. Die Frauen dagegen – bekanntlich die Hälfte der Menschheit –
wurden der Bibel zufolge aus der Rippe Adams gebildet, dürfen in kein geistliches Amt gewählt werden und gelten als unfertige Menschen.
Nicht Gesinnungen, sondern nachprüfbare Wahrheiten gehören in den Schulunterricht. Natürlich sollen die ideengeschichtlichen Gehalte aller Religionen in der Klasse diskutiert und miteinander
verglichen werden, freilich vor dem „Richterstuhle der Vernunft“. Die religiösen Ideologien selbst, die um die Seelen der Menschen konkurrieren und auf unbeweisbaren Dogmen beruhen, die ihren
Begründern (Moses, Jesus, Mohammed) angeblich durch göttliche Offenbarungen eingeflüstert wurden, haben im Lehrplan einer öffentlichen Schule nichts zu suchen. Religion führt zu Rechthaberei, zur
Unterstreichung der Differenzen, zu Hochmut, zu Feindseligkeit.
Es wäre schade für Berlin und seine kosmopolitische Bevölkerung, wenn es der Pro-Reli-Bewegung gelänge, die Trennung von Schule und Kirche wieder rückgängig zu machen, mit der die Stadt endlich
in der Moderne angekommen ist.
Benjamin Korn lebt als Theaterregisseur und Essayist in Paris.